Die Sage des schaurigen Wirtes

Skeptisch beobachtete ich die Jugendlichen, die es sich an meinen Wurzeln gemütlich gemacht hatten und ein Lagerfeuer entzündet hatten um die Dunkelheit zu vertreiben.
Nun, wenn das Feuer, dass eindeutig zu nah an meinen Wurzeln platziert worden war, sich ausbreiten würde, wäre es wenigstens hell wenn sie mich verbrannten und selbst in den See flüchten würden.
Als wäre es nicht genug, dass der Elbsand auf meine Wurzeln drückte und Kinder an meinen Ästen herumkletterten.
Belustigt beobachtete ich, wie diese harten Jungs, die am Nachmittag noch wie die ganz Mutigen beim Anbaggern von Mädchen gescheitert waren, sich nun Geistergeschichten erzählten und versuchten, den anderen möglichst viel Angst zu bereiten.
Es mochte moralisch zwar fragwürdig sein, aber mir machte es außerordentlichen Spaß, Legenden über Leute zu hören die „angeblich“ im See ertrunken waren, auf der Flucht vor der Polizei, da sie gerade einen Raub begangen hatten.
Nichtmal kreativ waren sie, schimpfte ich stumm, während ich mich nach der Zeit sehnte, als man sich mit Gruselgeschichten noch Mühe gegeben hatte und man sich nicht beim billigsten Müll in die Hosen machte.
Aber ich zwang mich zur Ruhe, ich war nicht auf dieser Welt, um mich über andere Spezien aufzuregen. Das würde mich noch in den Kamin bringen!
Also richtete ich mein Ohr wieder auf die Jungen, die gerade eine neue Schauergeschichte zu erzählen begannen.
„Ich sag’s euch, hier hat mal ein Mann gelebt, der war ganz arm, obwohl er eine Gasstube betrieb und hübsche Zimmer zu guten Preisen bot. Und wisst ihr warum?
Weil er jeden Besucher seiner Gaststube bestohlen hat! Und wenn er damit fertig war, hat er die armen Schweine mit seinen eigenen, großen Händen erstickt!
Für ihn war das leicht, weil er regelmäßig das Holz für seinen Kamin hackte und manchmal auch für andere die Ladungen übernahm, um das Gasthaus nicht zu verlieren.
Und habt ihr ’ne Ahnung was er mit den Leichen gemacht hat?“ Der Junge beugte sich vor; seine Freunde zitterten schon vor Angst. Wenigstens wusste er, wie man eine Geschichte erzählte.
„Er hat die Leichen im See versenkt, wo sie erst Tage später, wenn der Wirt das Geld schon längst versoffen hatte, gefunden wurde!
So ging dass immer weiter, angeblich sogar dreizehn Jahre!“, erzählte der Junge aufgeregt, während er einen Schluck aus seiner Colabüchse nahm. Ich wedelte entrüstet mit den Zweigen:  Der Wirt hatte der Legende nach 5 Menschen getötet, nicht mehr und bestimmt keine dreizehn Jahre lang!
„Seit dreizehn Jahren bereicherte sich der Wirt also am Tod seiner Gäste.  Niemand hatte es ihm je nachweisen können, bis schließlich  am dreizehnten Februar, einem Freitag der ganz grau und verwaschen schien, ein reicher Kaufmann die Gaststube betrat und das größte Zimmer der Gaststube mietete, mit Abendbrot und Morgenschmauss. Der Wirt soll sich schon gierig die Hände gerieben haben, als er dem Mann die Schlüssel übergab, der sie dankend annahm, unwissend das sein Tod schon so nah war.
In der Nacht, um Schlag Mitternacht erzählt man sich, nahm der Wirt sich seinen Schlüssel und öffnete die knarzende Tür.“ Nun zitterten die Jungen wie Espenlaub und, nur um des Spaßes willen, ließ ich meine Äste wedeln und Schatten über sie tanzen, obwohl kein Wind wehte. Die Jungen wurden ganz klein, einer stotterte etwas von Geistern, der andere griff an seinen Hals, wo eine Kreuzkette hing. „K-Keine Sorge Jungs, das ist nur der Wind, okay?“ versuchte der Erzähler seine Freunde zu beruhigen und ich wollte grinsen, als sie alle verleugneten, je Angst gehabt zu haben und dass sie doch nicht an etwas so kindisches wie Geister glaubten.
Heuchler, dachte ich, gedanklich kichernd.
„Jedenfalls, als der Wirt das Zimmer des Kaufmanns betrat, nahm er sich alle seine Wertgegenstände, sogar ein angelaufenes Silberamulett, dass ihm komischerweise bekannt vorkam. Und als er all das Geld des Fremden in seinen Jackentaschen versenkt hatte, wandte er sich dem schlafenden Kaufmann zu. Der Mann schlief seelenruhig, wie ein Kind und sein Atem war ruhig, nicht wissend dass er in nur ein paar Minuten um sein Leben bangen würde“ des Effektes Willen stoppte der Junge kurz seine Erzählung und obwohl ich dich Legende kannte, hing ich an seinen Lippen.
Ein wenig.
Vielleicht.
Seine Freunde lehnten sich gespannt vor, sie alle brannten auf das Ende der Geschichte, das so offensichtlich erschien. „Mit lauten, donnernden Schritten ging der Mann auf das Bett des Kaufmannes zu, die Mordlust glitzerte in seinen Augen, das komische Gefühl der Bekanntheit in seiner Brust ignorierte er. Der Kaufmann wand sich unruhig im Schlaf, sein Traum verschwamm und verwirrt sah er auf die Silhouette die sich über ihm aufbäumte. Bevor er reagieren konnte legten sich zwei große Hände um seinen schlanken Hals und drückten zu.“ wieder stoppte der Junge und ich raschelte empört mit den Ästen, da erzählte er eine solche Geschichte und hörte beim spannendsten Teil auf! Was für eine Unverschämtheit!
Nicht, das es mich gekümmert hätte. Ich kannte die Geschichte ja schon.
Der Junge öffnete den Mund, um fortzufahren und ich beugte mich vor, gespannt auf das Ende der Geschichte wartend. Leise wispernd sprach er weiter. „Der Kaufmann schrie und trat um sich, doch gegen die grobe Kraft des breiten Wirtes kam er nicht an und eine Träne rann über seine Wange, Worte formten sich, durch die Atemnot des Mannes verzerrt und undeutlich.
Aber das letzte Wort, dass seine Lippen je verlassen sollte, kam klar und deutlich über seine Lippen, obwohl seine Augen schon halb verdreht und glasig ins Leere sahen.
„Bruder“
Die Hände des Mannes erschlafften, er zog sie zurück, reflexartig als könnte er seine Tat so wieder ungeschehen machen, aber auf dem Bett lag nicht länger ein Lebender, nur eine kalte Leiche, deren Augen den Wirt leer und anklagend zu verfolgen schienen. Mit zitternden Fingern beugte der Wirt sich zum Kaufmann hinunter, fühlte nach seinem Puls, obwohl er die Antwort schon längst kannte, sah sie ihm doch ins falsche Gesicht!
Tränen rannen über seine Wangen, doch er zwang sich, sich aufzurappeln und mit zitternden Fingern schloss er die Augen seines Bruders, nicht um ihm eine letzte Ehre zu erweisen, sondern um seinen bohrenden, anklagendem Blick zu entkommen. Unsicher griff er um den Bauch des Mannes, nur der Mond sah wie er die Leiche aus dem Haus schleppte und im Seeufer vor seinem Haus versenkte.

Doch der Blick seines Bruders schien ihn zu verfolgen, er zog sich immer mehr zurück, versoff das Geld das er gestohlen hatte und versuchte verzweifelt seine grausamen Taten zu vergessen, sie in Alkohol zu ertränken, doch überall sah er seinen Blick und schließlich, ein Jahr nach dem Brudermort, fand man ihn.
Erhängt in seinem Haus, die Schuld und de Angst auf ewig in sein Gesicht gebrannt.“

So endete der Junge seine Erzählung und ich musste mich kurz schütteln, um wieder in der Realität anzukommen.
Am liebsten würde ich mich darüber beschweren, was er alles verändert hatte, aber wie die Jungen um ihn herum war ich außerstande etwas zu sagen, konnte aber sehen wie er sich selbstgefällig zurücklehnte und einen tiefen Schluck aus seiner Colabüchse nahm, was mich etwas wütend werden ließ.
Der Bengel mochte zwar erzählen können, aber er war nichts desto trotz verflucht arrogant. Aber seine Freunde schienen sich daran nicht zu störten, bewunderten seine Geschichte sogar! Bei dem ganzen Wirbel den sie machten, ließen sie das Feuer ganz außer Acht, das hoch flackerte und meine Wurzeln schmerzlich heiß werden ließ.
Bei aller Freude, das ließ ich mir dann doch nicht bieten!

Ich hob meine Äste, ließ sie wirbeln und das Feuer, von mir weg flackern. Der Wind warf zarte Wellen auf dem See und Wolken bedeckten den Mond. Sie ließen die Jungen in der Dunkelheit zurück, als ich das Feuer mit einem angestrengten Satz löschte. Die Jugendlichen schrien überrascht auf, ich roch den ekelhaften Gestank von Urin neben meinen Wurzeln und ich kicherte. Mein Kichern wurde vom Wind hinfort getragen, so dass es sich anhörte als würden Geisterstimmen sie jagen und ich hörte wie sie schrien, ihre Schritte auf dem nassen Sand machten fast kein Geräusch. Doch ihr schneller Atem und ihre hektischen Rufe ließen mich nur zu gut wissen, wo sie hinliefen.

Doch als der nächste Tag begann kamen die Jungen wieder und dunkle Augenringe schmückten  ihr Gesicht. Wie am Vortag versuchten sie -erfolglos- Mädchen anzubaggern, aber diesmal wandten sich die Mädchen nicht nur wegen ihrer Art und ihrem Auftreten ab, sondern auch weil sie aussahen als hätten sie den Teufel gesehen, was sie aber gekonnt totschwiegen.

Ich hatte sie danach nie wieder bei Nacht hier gesehen, genau genommen gingen sie immer im Abendgrauen nach Hause. Als ich mal eine andere Truppe belauschte, die es sogar geschafft hatte statt Feuer Taschenlampen mitzubringen, hörte ich die Mythe eines Waldgeistes mit der Kontrolle über die Bäume, der hier am Krupunder See lauerte und, wenn die Wolken alle Sterne verdeckten, Kinder und Jugendliche, sogar Erwachsene in die Flucht trieb, aus Wut das sie ihren geliebten Wald mit ihrer Anwesenheit beschmutzten.

Ich fühlte mich zugegebenermaßen geehrt.